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80 Jahre ORION – Ein Plädoyer für den Print und ein Abo-System im Online-Zeitalter

Im Oktober 1943 erschien das Magazin ORION, damals noch als eigentliches «Mitteilungsblatt» der Schweizerischen Astronomischen Gesellschaft SAG-SAS, zum allerersten Mal. In den acht Jahrzehnten hat sich sehr vieles gewandelt; die elektronischen Informationsquellen haben auch vor ORION nicht Halt gemacht. In den letzten Jahren haben auch wir mit dem ORION-Portal eine Plattform geschaffen, die einen täglichen Astronomiekalender und Aktualitäten aus Forschung, Wissenschaft und Raumfahrt bietet. Der Print ist nicht tot, aber es braucht ein Umdenken – ein Plädoyer!

Beitrag: Thomas Baer, Redaktion ORION

«Nicht alles ist Gold, was glänzt». Dieses Sprichwort wandle ich gerne etwas ab, bevor ich mein Plädoyer für den Print und das Abo-Modell starte: «Nicht alles ist Qualität, was im Netz zu finden ist». Bevor wir auf das Jetzt und Heute schauen, blicken wir zurück. Wir schreiben das Jahr 1939, genauer, den Sonntag, 30. April 1939. An diesem Datum fand die Gründungsversammlung der Schweizerischen Astronomischen Gesellschaft SAG-SAS statt. Schon damals wurde von den Anwesenden ein Bulletin gutgeheissen. Es kam der Krieg, und die SAG-SAS erfuhr einen harzigen Start in ihrem Aufbau und ihrer Entwicklung. Statt des vorgesehenen Bulletins wurden die wichtigsten Mitteilungen der Astronomischen Gesellschaft Bern als Sonderdruck aus der Sektion der Naturforschenden Gesellschaft Bern versandt. Erst vier Jahre später fand die zweite Generalversammlung statt, und im Oktober 1943 erschien mit der Nummer 1 der allererste ORION.

In verschiedenen Formaten zu A4 – und zur Farbe

Das ursprüngliche Heft erschien noch im Format 23 x 16 cm, natürlich in schwarz-weiss. Ab 1966 entschieden sich die damaligen Herausgeber – die Astronomie war zu jener Zeit im wörtlichen Sinne noch eine «Männerdomäne» – für das Format 16.4 x 20 cm, und ab dem Jahr 1996 schliesslich gab es den ORION erstmals im A4-Format. Das erste farbige Cover erschien mit dem Heft 138 (Oktober 1973), die ersten farbigen Inhalte – der Farbdruck war damals noch wesentlich teurer (!) – erst ab 1986!
Im ORION 152 (März 1976) findet sich erstmals eine Angabe über die Auflagestärke: Damals wurden noch 2’800 Exemplare gedruckt, denn alle Sektionsmitglieder waren damals wie heute SAG-SAS-Mitglieder und erhielten den ORION als Dachverbandszeitschrift automatisch zugesandt! Im Rahmen einer Generalversammlung wurde beschlossen, dass der ORION nicht mehr zwingend an alle seine Mitglieder verschickt wird – eine unglückliche Entscheidung, wie ich persönlich finde, auch heute noch. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass der ORION, der 1988 noch 4’000 Abonnentinnen und Abonnenten hatte, mittlerweile «nur» noch eine Auflagestärke von 1’900 Exemplaren ausweist. Im Beitrag zum 75-Jahr-Jubiläum des ORION ist zu lesen: «Heute brillieren die Hefte durch vielseitige Gestaltung, insbesondere auch in Bezug auf die Farben. Es darf als Glücksfall bezeichnet werden, dass Thomas Baer als federführender Redaktor die gesamte Gestaltungs- und Layout-Arbeit druckreif herstellen kann.» Solche Rückmeldungen sind aufbauend, zeigen aber auch, dass ein solches Produkt längst nicht mehr «hobbymässig» herausgegeben werden kann.

Der ORION braucht sich nicht zu verstecken

Gerne lasse ich einmal etwas «hinter die Kulissen» blicken, denn, wenn Sie liebe Leserin, lieber Leser den ORION in gedruckter Form in den Händen halten, liegt ein langer Prozess dahinter. Mir persönlich war es stets ein Anliegen, aus dem einstigen Informations-Bulletin eine interessante Astronomiezeitschrift mit starkem Schweiz-Bezug zu schaffen. Es war nie die Absicht oder das Bestreben den ORION mit einer Zeitschrift wie «Sterne & Weltraum» (Deutschland), einem «Sky & Telescope» (USA) oder «Ciel & Espace» (Frankreich) zu vergleichen; aber meines Erachtens ist es richtig und auch wichtig, dass wir in der Schweiz eine eigene Astronomiezeitschrift herausgeben, die eben über das Astronomiegeschehen in unserem Land berichtet. Wir Schweizerinnen und Schweizer verstecken uns zu gerne hinter anderen, statt, dass wir stolz sind über das, was in unserem eigenen Land in Sachen Astronomie und Weltraumfahrt geschieht und was wir selber zu bieten haben. Unsere Universitäten spielen im Konzert der Grossen mit; an zahlreichen Raumfahrtmissionen ist unser Land mit Projekten und Instrumenten beteiligt.


Hier entsteht der nächste ORION. (Bild: Thomas Baer, Redaktion ORION)

Selbstverständlich gibt es heute Hunderte von alternativen Informationsquellen, vor allem Online. Wer gezielt nach etwas sucht, wird auch fündig. Gewiss kann man sich fragen, ob es da einen ORION überhaupt noch braucht. Monatsvorschauen gibt es inzwischen fast wie «Sand am Meer», mehr oder weniger rudimentär produziert mit dem freien Programm Stellarium, das jede und jeder selber auf dem PC installieren kann. Das entspricht und entsprach nie meinen persönlichen Ansprüchen; der ORION und das ORION-Portal sollen ihre ganz eigene Handschrift tragen, vom Stil her und auch was die zahlreichen Grafiken anbelangt. Und so freute mich eine Rückmeldung von Sven Melchert vom KOSMOS-Verlag ganz besonders, als er mir an der SAG-SAS DV im vergangenen April sagte, er kenne niemanden, der schönere Astronomiegrafiken entwerfe. Die Vielfalt macht es aus. Ich bin kein Fan von «Konserven». Wir brauchen in der Astronomie keinen weiteren «Einheitsbrei», so etwa wie wir ihn derzeit in der Medienlandschaft sehen und erleben.

Die Aufgabe einer Astronomiezeitschrift in gedruckter Form hat eine weiterreichende Funktion. Selbst wenn man heute schier jede astronomische Information im Netz findet; die Suche nach wirklich guten Inhalten aus ersten Quellen, ist manchmal extrem zeitaufwändig! Und wer schon astronomische Beiträge selber verfasst hat, weiss, dass es mit der Recherche allein noch nicht getan ist. Bis ein Artikel druck- und publikationsfertig ist, investiert man oft Stunden oder Tage. Auch ist das Schreiben nicht jedermanns Sache, da es ausserdem gilt, komplexe Sachverhalte logisch und einfach verständlich herab zu brechen, ohne dass dabei der wissenschaftliche Kontext leidet. Dann gilt es – je nach Thema – hilfreiche Infografiken zu entwerfen. Mit ORION als Astronomiezeitschrift servieren wir den Leserinnen und Lesern zeitlosere Themen, auf dem ORION-Portal bringen wir tagesaktuelle Inhalte.

AstroInfo verschwand – bald erscheint auch «Der Sternenhimmel» zum letzten Mal

Mit der astronomischen Online-Plattform AstroInfo hatten wir bis vor wenigen Jahren eine sensationelle Website und mit dem Astronomierechner CalSky eine Datenbank, die letztlich namentlich von Arnold Barmettler in einer «One-Man-Show» betrieben wurde. Das abrupte Aus löste zumindest vorübergehend einen Sturm des Entsetzens aus, war aber aus heutiger Sicht unter anderem nur eine logische Folge unseres Konsumverhaltens und der ungesunden «Gratis-Kultur». Solange es AstroInfo gab, wurde es rege benutzt; aber niemand fragte sich, wer über Jahrzehnte hinweg – sogar an den Wochenenden – die Inhalte generierte. Warum auch? Die Inhalte waren ja mit einem Mausklick abrufbar und jederzeit verfügbar! Man konnte zwar «Mitglied von AstroInfo» werden, aber von diesen Beiträgen und den spärlichen Spendengeldern konnte der Betreiber seinen Lebensunterhalt nicht finanzieren. Irgendwann standen Aufwand und Ertrag in einem derartigen Missverhältnis, dass die Rechnung mehr aufging.


Das ORION-Portal bietet neben aktuellen Beiträgen aus Wissenschaft und Forschung auch einen täglichen Astronomiekalender. (Bild: Thomas Baer, Redaktion ORION)

Bald – wir werden darüber berichten – wird auch das legendäre Jahrbuch «Der Sternhimmel» nach 84 Jahren zum letzten Mal erscheinen. Wir von der ORION-Redaktion wollen diesem allmählichen Verschwinden diverser «Schweizer Produkte» nicht einfach tatenlos zusehen. Daher bieten wir auf dem ORION-Portal seit Juni 2022 einen täglichen Astronomiekalender an, und ab 2025 ist in Heftform eine astronomische Jahresvorschau auf Vorbestellung geplant. Wir werden zeitnah darüber informieren.

Ein stark verändertes Leseverhalten

Selbstverständlich hat sich mit dem Aufkommen diverser Social Media-Kanäle das Leseverhalten in unserer Gesellschaft in den letzten Jahren stark gewandelt. Viele Zeitgenossinnen und Zeitgenossen sind es sich kaum mehr gewohnt, einen längeren Text zu lesen. Dieser Trend ist vor allem bei der jüngeren Generation spürbar. Die Aufmerksamkeit lässt etwa beim Konsum eines Youtube-Clips oder bei Tik Tok schon nach wenigen Sekunden nach, wenn der Inhalt nicht gleich wie eine «Bombe» einschlägt! Die Schwierigkeit heute ist, wie man gerade naturwissenschaftliche Themenbereiche, zu denen die Astronomie zählt, möglichst «attraktiv» vermittelt.

Auch vor dem ORION macht diese Entwicklung nicht Halt. Dies ist auch der Grund, warum wir uns immer wieder nach neuen Ideen umschauen und uns fragen, wie es gelingt, eine möglichst breite Leserschaft auch oder gerade im Online-Zeitalter für die Astronomie zu begeistern. Diese Aufgabe macht die Arbeit spannend, denn die Entwicklungen und Möglichkeiten verlaufen ungeahnt schnell. Was heute noch im Trend ist, kann schon morgen altbacken daherkommen. Daher gilt es, stets wachsam zu sein und auf gewisse Bedürfnisse einzugehen.

Sollen astronomische Inhalte etwas kosten dürfen?

Ich bin ein klarer Gegner der «Gratis-Kultur», denn genau diese Kultur hat in den vergangenen Jahrzehnten unsere Medienlandschaft massiv und aus meiner Sicht negativ verändert und vor allem die Medienvielfalt stark dezimiert! Man sagt, was nichts koste, sei nichts wert. Nun, ganz so unbegründet ist dieses Zitat nicht. Natürlich spart man sehr viel Geld, wenn man ganze Regionen bloss noch mit Kopfzeitungen beliefert; so kann eine Regionalredaktion problemlos klein aufgestellt werden. Und die Zeitungen in unserem Land profitieren zusätzlich noch von nicht zu knappen Bundesgeldern und brauchen sich daher nicht mit Zukunftsängsten herumzuplagen, solange das liebe Geld fliesst.
Bei einer Zeitschrift wie ORION, die ein «unbedeutendes Nischenprodukt» darstellt, stellt sich diese Frage genauso. Was sind die Leserin oder der Leser für recherchierte Beiträge zu bezahlen bereit? Meines Erachtens braucht es dringend ein Umdenken, denn egal auf welchen Kanälen; Inhalte müssen von irgendjemandem produziert werden. Inhalte sind nicht einfach da, auch wenn uns dies Mausklicks manchmal so vorkommen lassen. Dieses Bewusstsein scheint mir in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten stark abhanden gekommen zu sein.

Ein runder Geburtstag

Bis vor ein paar Jahren hätte daher kaum jemand geglaubt, dass der ORION seinen 80. Geburtstag noch erleben würde. Dies ist ganz gewiss das Verdienst der ehemaligen SAG-SAS-Präsidenten Karl Georg Scheuter und Christian Wernli, die auf die Professionalisierung der Zeitschrift setzten und das Ganze an die Medienwerkstatt ins thurgauische Sulgen vergaben. An einem ORION ist mittlerweile ein ganzes Team beteiligt, das für die Inhalte und die gesamte Produktion zuständig ist. Ohne diese Leute wäre es undenkbar, ein solches Heft herauszugeben. Es braucht die «Machertypen» wie eine Claudia Walder (meine Co.-Redaktorin), eine Helen Oertli (Marketing), einen Elias von Schulthess (Social Media), einen Korrektor wie Sascha Gilli , die SAG-SAS-Koordinatoren Marc Eichenberger (SAG-SAS-Präsident) und Jonas Schenker (Fachgruppen) oder die Supporter des gesamten Online-Bereichs, namentlich Tomi Schaltegger. Markus Bättig, Geschäftsführer der ORIONmedien GmbH, lässt uns, was die Inhalte anbelangt, weitestgehend freie Hand. Der ORION-Beirat, dessen Mitglieder einmal im Jahr tagen, begutachtet die Hefte, gibt wertvolle Rückmeldungen und schlägt spannende Themen für die nächsten Ausgaben vor.

Ich bedanke mich beim ganzen ORION-Team für die wertvolle und konstruktive Zusammenarbeit und freue mich auf noch zahlreiche weitere Jahre, Ihnen dieses tolle Heft präsentieren zu dürfen. Und vergessen Sie nicht, an unserem Jubiläums-Wettbewerb teilzunehmen!

Thomas Baer, Redaktion ORION