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Der Sternenhimmel im Mai 2024

Beitrag: Thomas Baer, Redaktion ORION

Thema des Monats: Der Virgo- und der Coma-Galaxienhaufen

Galaxien sind keine «einsamen» Objekte, sondern gruppieren sich in grösseren Haufen. Grosse Haufen können gut und gerne einige tausend Einzelgalaxien beherbergen, die mit bis zu 1’000 km/s um einen gemeinsamen Schwerpunkt des Systems kreisen. Am Frühlingshimmel können wir mit dem Virgo-Galaxienhaufen und dem wesentlich weiter entfernteren Coma-Haufen gleich zwei solche Galaxienverbände teleskopisch beobachten.

Heute gehen die Astronomen davon aus, dass sich schon wenige Millionen Jahre nach dem Urknall Galaxienhaufen bildeten. Dies lassen Beobachtungsdaten der Weltraumteleskope Planck und Herschel vermuten. Demnach sollen in den «jungen Galaxien» neue Sterne fast «explosionsartig» entstanden sein. Galaxien sind keine Einzelgänger, sondern formieren sich zu ganzen Systemen. Doch noch immer rätseln die Wissenschaftler über die genaue Entstehung und Entwicklung dieser Galaxienhaufen, und auch die Rolle der Dunklen Materie ist unklar.
Grosse Galaxien zählen ohne weiteres über eine Billion Sterne und haben gewaltige Durchmesser von mehr als 100’000 Lichtjahren. Um uns die Dimensionen eines Galaxienhaufens einmal vor Augen zu führen, dient eine Modell-Vorstellung: Wenn wir unsere eigene Milchstrasse auf eine 10 Rappen Münze schrumpfen lassen, wäre in diesem Massstab die Andromeda-Galaxie 250 m entfernt und etwa so gross wie etwa ein Zweifränkler! Der Virgo-Galaxienhaufen hat eine Ausdehnung von rund 9 Millionen Lichtjahren. In unserem Modell wäre dies ein Raum von 900 m Durchmesser. Der Coma-Haufen ist mit 20 Millionen Lichtjahren Durchmesser wesentlich grösser und wäre mit einer Entfernung von 300 Millionen Lichtjahren in unserem Modell 30 km entfernt!

In einer sternarmen Gegend beheimatet

Die beiden Galaxienhaufen befinden sich in einem eher sternarmen Gebiet; der Virgo-Haufen zwischen Löwe (Stern Denebola) und der Jungfrau, der Coma-Haufen nur unwesentlich nördlicher, im unscheinbaren Sternbild Haar der Berenike, das vom Löwen im Westen und dem Bärenhüter im Osten flankiert wird. Von blossem Auge kann man zumindest den Virgo-Haufen bei exzellenten Sichtverhältnissen an dunklen Orten und in mondscheinlosen Nächten erahnen.

Der Virgo- und Coma-Galaxienhaufen östlich des Löwen. Grün markiert sind die von Messier und Méchain entdeckten Galaxien. (Grafik: Thomas Baer, Redaktion ORION)

Charles Messier, der im 18. Jahrhundert den Himmel durchmusterte, um Verwechslungen mit neu auftauchenden Kometen auszuschliessen, fand im Februar 1771 an besagter Stelle mit der Riesengalaxie M49 das erste Mitglied des Virgo-Galaxienhaufens. Auch Pierre Méchain suchte nach Objekten in jener Gegend, die Messier in seinen Katalog aufnahm. So kamen nicht weniger als 16 «Nebel» zusammen, die heute als Mitglieder des Virgo-Haufens identifiziert sind. Schon zu seiner Zeit erkannte Messier, dass es sich bei den entdeckten Objekten nicht um Sterne, sondern um Nebel handeln musste, und er äusserte gar die Vermutung einer Gruppe. Heute schätzen die Wissenschaftler zwischen 1’300 und 2’000 Galaxien in einer Entfernung von etwa 60 Millionen Lichtjahren. Zum Vergleich: Die Andromedagalaxie ist «nur» 2.5 Millionen Lichtjahre von uns entfernt. Messier konnte die wahre Natur der Nebel damals noch nicht erkennen. Erst anderthalb Jahrhunderte später gelang die erstmalige Beobachtung von Einzelsternen in der Andromedagalaxie.

Die Lokale Gruppe, zu der auch unsere Milchstrasse gehört, ist rund 60 Millionen Lichtjahre vom Virgo-Galaxienhaufen entfernt. (Quelle: Wikipedia)

Am Himmel bedeckt der Virgo-Haufen ein Gebiet von etwa 8° Ausdehnung an der Grenze zwischen Jungfrau und Haar der Berenike. Dank des Weltraumteleskops Hubble konnte man 1994 erstmals Cepheiden-Sterne in den Galaxien auflösen. Bei diesen Sternen handelt es sich um pulsationsveränderliche Sterne, die eine regelmässige Helligkeitsschwankung zeigen. Mit Hilfe der Perioden-Leuchtkraft-Beziehung war es daher möglich, die Entfernung des Virgo-Haufens auf 60 Millionen Lichtjahre zu ermitteln und den Durchmesser der Galaxiengruppe auf rund 9 Millionen Lichtjahre zu berechnen. Galaxienhaufen bilden keine abgeschlossenen Systeme und haben keine klaren Grenzen. Vielmehr sind sie gar verbunden und ihre Ausläufer gehen nahtlos in die Struktur des Superhaufens über, vermuten die Wissenschaftler.

Die einzelnen Galaxien, die einen Haufen formen, so der Stand der Forschung, sind gravitativ gebunden und bewegen sich mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten in einem gemeinsamen Schwerefeld. Beobachtungen zeigten beim Virgo-Haufen eine Diskrepanz: Dieser «leuchtet» für seine errechnete Masse viel zu schwach, was ein Hinweis darauf wäre, dass Dunkle Materie den Hauptanteil an Masse ausmacht. Die Galaxienforscher nehmen an, dass rund 80 % der Gesamtmasse in Galaxienhaufen auf die Dunkle Materie entfallen, während die verbleibenden 15 % aus 10 bis 100 Millionen K heissen Gasen bestehen und nur 5 % «sichtbare Masse» in Form von Sternen (und Planeten) sind. Häufig befindet sich im Zentrum eines Galaxienhaufens eine riesige elliptische Riesengalaxie, während kleinere Galaxien wie Satelliten um dieses Ungetüm herumwandern. Im Falle des Virgo-Haufens ist es M87, eine ausgesprochen aktive Galaxie, bekannt auch als Radioquelle Virgo A oder als Röntgenquelle Virgo X-1. Ihre Ausmasse sind gigantisch: Die Astronomen schätzen ihren Radius (!) auf 100’000 Lichtjahre und gehen von 2 bis 3 Billionen Sonnenmassen aus. Seit 2019 weiss man, dass sich im Zentrum von M87 ein supermassereiches Schwarzes Loch befinden muss. Auf Aufnahmen des Hubble Weltraumteleskops ist nämlich ein 5’000 Lichtjahre langer energiereicher Jet zu sehen, der auf die Existenz eines solchen Objekts hindeuten würde.

Wie ein kosmischer Suchscheinwerfer strömt aus dem Zentrum von M87 eines der erstaunlichsten Naturphänomene; ein von einem Schwarzen Loch angetriebener Strahl subatomarer Teilchen, der sich mit nahezu Lichtgeschwindigkeit bewegt. In diesem Hubble-Bild kontrastiert der blaue Strahl mit dem gelben Leuchten des kombinierten Lichts von Milliarden unaufgelöster Sterne und den punktförmigen Sternhaufen, aus denen diese Galaxie besteht. (Bildnachweis: NASA und das Hubble Heritage Team (STScI/AURA))

Was ist der Virgo-Superhaufen?

Einzelne Galaxienhaufen bilden übergeordnete Formationen, sogenannte Superhaufen. Auch unsere Lokale Gruppe, zu der die Milchstrasse, die Andromedagalaxie, aber auch die beiden Magellanschen Wolken und andere Galaxien zählen, gehören einem solchen Superhaufen an, dessen gravitatives Zentrum der Virgo-Haufen bildet (siehe Abbildung oben); daher auch der Begriff «Virgo-Superhaufen». Sein Durchmesser schätzen die Astronomen auf 150 bis 200 Millionen Lichtjahre, seine Masse auf über 1015 Sonnenmassen oder 2 x 1045 kg!

Der Coma-Superhaufen liegt rund 300 Millionen Lichtjahre vom Virgo-Superhaufen entfernt. (Quelle: Wikipedia)

Der Coma-Haufen

Im Coma-Galaxienhaufen gibt es über 1’000 Galaxien, so zumindest die aktuelle Schätzung. Er ist Teil des Coma-Superhaufens, eine gigantische Struktur, der die beiden Galaxienhaufen Abell 1656 und Abell 1367 angehören. Mittlerweile vermuten Galaxienforscher, dass der Virgo- und Coma-Superhaufen gar ein zusammenhängendes System bilden könnten. Da der Coma-Haufen rund sechsmal weiter entfernt liegt als der Virgo-Haufen, erscheint seine Ausdehnung am Himmel mit 3° x 5° etwas kleiner.

Dieses Falschfarbenmosaik der zentralen Region des Coma-Clusters kombiniert Infrarot- und sichtbare Lichtbilder, um Tausende von lichtschwachen Objekten (grün) sichtbar zu machen. Folgebeobachtungen zeigten, dass viele dieser Objekte, die hier als schwache grüne Flecken erscheinen, Zwerggalaxien sind, die zum Cluster gehören. Zwei grosse elliptische Galaxien, NGC 4889 und NGC 4874, dominieren das Zentrum des Haufens. Das Mosaik kombiniert Daten des sichtbaren Lichts des Sloan Digital Sky Survey (farbcodiert blau) mit lang- und kurzwelligen Infrarotansichten (rot bzw. grün) vom Spitzer-Weltraumteleskop der NASA. (Bild: NASA)

Der Coma-Haufen beherbergt mit NGC 4889, eine riesige elliptische Galaxie, und ungewöhnlicherweise noch eine zweite, nämlich NGC 4874. Beide sind vom Typus der cD-Galaxien (siehe dazu Infografik zur Klassifikation der Galaxienhaufen). Diese beiden Riesengalaxien werden von zahlreichen kleineren Galaxien umgarnt. In Bereichen, wo das Ur-Universum nur geringe Dichteschwankungen zeigte, beobachten wir Galaxien, die nicht eindeutig an ein gravitatives Zentrum gebunden sind, sogenannte «Feldgalaxien».

Dank seiner günstigen Lage ist das Sternbild Haar der Berenike geradezu prädestiniert für Galaxienbeobachtungen. Der Galaktische Nordpol befindet sich in dieser Konstellation, und so können wir sowohl «gebundene» wie auch «freie» Galaxien beobachten, da wir aus der Ebene unserer Milchstrasse hinausblicken, wo uns kaum Gas- und Staubwolken die Sicht nehmen. So sehen wir in die Richtung von Virgo- und Coma-Haufen Galaxien, die in Entfernungen von 20 bis 40 Millionen Lichtjahren liegen. Aber selbst in den Ausläufern des Virgo-Haufens zwischen  50 und 70 Millionen Lichtjahren lassen sich Galaxien beobachten. Der eigentliche Coma-Haufen liegt 300 bis 450 Millionen Lichtjahren Distanz «dahinter». In den vergangenen Jahrzehnten konnten in der hier beschriebenen Region sogar jenseits dieser Haufen noch fernere Galaxienstrukturen gefunden werden. Ein nur 3° grosser Ausschnitt des Palomar Observatory Sky Survey aus dem Haar der Berenike bildet nicht weniger als 7’000 Galaxien ab, die kaum heller als +21mag sind.

Ähnlich, wie Galaxientypen unterschieden werden, kristallisierten sich auch unter Galaxiengruppen dank jüngster Beobachtungen gewisse Strukturen heraus. (Infografik: Thomas Baer, Redaktion ORION)

Astronomische Ereignisse im Mai 2024

Die schönsten Monatsereignisse im Überblick

SonneDie Sonne klettert auch im Mai höher und wandert vom Widder in den Stier. Über den gesamten Monat betrachtet, sieht die Situation wie folgt aus: Die Sonnenaufgänge verfrühen sich um weitere 36 Minuten von 06:09 Uhr MESZ (Sommerzeit) am 1. Mai auf 05:33 Uhr MESZ am Monatsletzten. Abends ist es seit der Umstellung auf die Sommerzeit wieder deutlich länger hell. Bei den Sonnenuntergängen ist die Verspätung mit 37 Minuten von 20:38 Uhr MESZ (am 1. Mai) auf 21:15 Uhr MESZ am 31. fast gleich gross. Die Sonne steigt jeden Tag etwas höher; die Mittagshöhe (Kulminationshöhe) nimmt weiter zu. Am 1. steht die Sonne 57.8° hoch im Süden, am 15. März dann 61.7° und steigt bis zum 30. weiter auf 64.5° an.
MondDer Mond startet im Letzten Viertel (abnehmender Halbmond) in den dritten Frühlingsmonat. Am Morgenhimmel «schleicht» die abnehmende Mondsichel förmlich dem Horizont entlang. Am 8. ist Neumond. Für den Rest des Monats können wir den Trabanten dann weitestgehend am Abendhimmel, in der letzten Woche in der zweiten Nachthälfte sehen. Am 15. erscheint er halb beschienen (Erstes Viertel) und steht an diesem Abend nur 2½° nördlich von Regulus. Vollmond haben wir dann am 23. im Sternbild Skorpion. Bis zum 30. Mai nimmt der Mond wieder auf die Hälfte ab; wir sehen ihn ein zweites Mal im Letzten Viertel.
MerkurDer sonnennächste Planet erreicht am 9. Mai mit 26° 22′ seine grösste westliche Elongation. Trotz dieses recht beachtlichen Abstands – er passierte am 30. April sein Aphel – kommt es dennoch nicht zu einer Morgensichtbarkeit. Noch immer verläuft die Ekliptik am Morgenhimmel denkbar flach über den östlichen und südöstlichen Horizont, womit Merkur kaum an Höhe gewinnt und praktisch mit der Sonne aufgeht.
VenusVenus eilt ihrer oberen Konjunktion entgegen, die sie Anfang Juni erreichen wird. Ihr Abstand zur Sonne ist mittlerweile so klein, dass sie den ganzen Monat über unbeobachtbar bleibt.
MarsDer Rote Planet setzt sich langsam aber sicher immer besser am Morgenhimmel durch, während er in den Vormonaten rasch in der Dämmerung verblasste. Er passiert am 5. Mai den Himmelsäquator nordwärts. Seine scheinbare Helligkeit mit +1.1mag hält sich allerdings noch in Grenzen. Nichtsdestotrotz kann man Mars ab dem letzten Monatsdrittel immer besser sehen.
JupiterDer Riesenplanet hat sich Ende April vom Abendhimmel gänzlich zurückgezogen. Am 18. Mai wird er von der Sonne eingeholt und überholt. Zur Zeit seiner Konjunktion steht er 902 Millionen km weit von der Erde entfernt «hinter» der Sonne. Den ganzen Monat über können wir Jupiter nicht beobachten. Auch die enge Begegnung mit Venus am 24. entgeht uns.
SaturnRingplanet Saturn ist im Wassermann zu sehen. Seine langsame rechtläufige Bewegung wird abgebremst. Er ist mit +1.0mag fast gleich hell wie Mars. Zu Monatsbeginn erscheint er gegen 04:30 Uhr MESZ im Südosten, am 31. geht er dann bereits zwei Stunden früher auf. Am 3. und 31. Mai zieht der abnehmende Mond südlich an ihm vorüber.
UranusWie Jupiter kommt auch Uranus in Konjunktion mit der Sonne, dies bereits am 13. Wir können den Planeten den ganzen Monat über nicht beobachten.
NeptunObwohl sich Neptun schon ein Stück westlich der Sonne befindet, können wir ihn noch nicht am Morgenhimmel beobachten.
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