• Einfach erklärt

Wann ist eigentlich Mittag?

Im Schulunterricht haben wir einst gelernt, dass Mittag um 12 Uhr ist und die Sonne dann den höchsten Punkt ihrer Tagesbahn erreicht hat. Für uns Kinder mag dies im Zusammenhang mit dem Zeiten-Ablesen eine Hilfe gewesen sein. Doch wenn wir die Sache einmal genauer betrachten, so stimmt da einiges nicht so ganz, denn bei uns steht die Sonne um 12 Uhr nie exakt im Süden.

Beitrag: Thomas Baer, Redaktion ORION

In der Astronomie kommen wir oft nicht darum herum, gewisse Sachverhalte vereinfacht darzustellen. Genauso verhält es auch mit dem Lauf unserer Sonne über den Horizont. Natürlich stimmt es, wenn wir sagen «die Sonne geht im Osten auf» erreicht «am Mittag den höchsten Stand» und geht abends «im Westen unter». Wer die Sonne allerdings während eines Jahres genauer verfolgt und sich die Auf- und Untergangspunkte merkt, stellt bald fest, dass sich diese am Horizont vom Winter zum Sommer markant verschieben, im Winter südwärts, im Sommer nordwärts. Und auch der tägliche Sonnenhöchststand ändert sich: Vom 21. Dezember bis zum 21. Juni (Sommersonnenwende) steigt die Sonne immer höher in den Himmel – in Zürich bis auf knapp 66° – und sinkt dann im zweiten Halbjahr bis zum 21. Dezember (Wintersonnenwende) wieder auf 19° ab.

Diese Infografik veranschaulicht schematisch den Sonnenlauf zur Winter- und Sommersonnenwende sowie zum astronomischen Frühlings- und Herbstbeginn für Zürich. Unschwer stellen wir fest, dass die Sonne immer erst nach 12:00 Uhr MEZ genau im Süden, also im Mittag steht. (Infografik: Thomas Baer, Redaktion ORION)

Wo steht die Sonne um 12:00 Uhr?

Halten wir einmal fest, wann genau die Sonne exakt in Südrichtung (im Meridian) steht – dann hätten wir Mittag – so ist 12:00 Uhr immer bereits überschritten. Am 21. Dezember etwa steht die Sonne erst um 12:24 Uhr MEZ genau im Süden, am 20. März sogar 33 Minuten nach 12:00 Uhr. Am 21. Juni ist sie 27 Minuten verspätet, am 23. September 18 Minuten, die Sommerzeit, die wir jeweils «künstlich» einfügen, nicht berücksichtigt.

Wenn wir die Sonnenpositionen einmal um genau 12:00 Uhr festhalten, so erhalten wir ein ähnliches Bild (siehe Infografik unten). Jetzt bemerken wir, dass das Tagesgestirn noch gar nicht den Meridian erreicht hat; es fehlen je nach Monat zwischen knapp 10 Minuten und fast 40 Minuten, bis die Sonne ihren Tageshöchststand erreicht hat.

Wenn wir immer zum Monatsersten und um 12:00 Uhr MEZ die Sonnenposition für Zürich festhalten, so erkennen wir, dass das Tagesgestirn den Meridian noch gar nicht erreicht hat. (Infografik: Thomas Baer, Redaktion ORION)

Berücksichtigen wir ausserdem noch die Sommerzeit, die zusätzliche «künstliche» Stunde, so erreicht die Sonne während des gesamten Sommerhalbjahrs ihren Tageshöchststand sogar erst nach 13:00 Uhr MESZ!

Während des Sommerhalbjahrs stimmt der «Mittag» fast gar nicht mehr mit 12:00 Uhr MEZ überrein. Dann erreicht die Sonne erst am frühen Nachmittag ihren Höchststand im Süden. (Infografik: Thomas Baer, Redaktion ORION)

Woher rührt diese Abweichung?

Bekanntlich wird die Erde in verschiedene Zeitzonen unterteilt, die alle 30° breit sind. Natürlich sind diese 30°-Sektoren nur eine theoretische Vorgabe, denn in Wirklichkeit legen die Landesgrenzen die Zeitzonengrenzen fest. Die Mitteleuropäische Zeitzone MEZ hat ihren Mittelmeridian bei 15° östlicher Länge. Dieser verläuft ziemlich genau am österreichischen Loeben vorbei. Zürich liegt auf 8.5° östlicher Länge. Wir haben eine Differenz von 6.5°. Wenn in Loeben am 15. April 2025 die Sonne um 12:00 Uhr MEZ (13:00 Uhr MESZ) genau im Süden, also im Mittag steht, verstreichen noch genau 26 Minuten bis das Tagesgestirn in Zürich den Höchststand erreicht hat (siehe anschliessende Infografik). Wir können dies auch rechnerisch erklären.

Die Erde rotiert in 24 Stunden genau 360° um ihre Achse. Für die Drehung um 30° (also eine ganze Zeitzone) benötigt die Erde 2 Stunden, für 15° noch eine, für 7.5° 30 Minuten und daraus hergeleitet für 6.5° (Längendifferenz zwischen Leoben und Zürich) diese 26 Minuten.

Wir können also festhalten: Wenn in Leoben Mittag ist, so ist dieser in Zürich stets 26 Minuten verspätet. Jeder Ort auf der Erde erlebt den «wahren Mittag», also den Zeitpunkt des Sonnenhöchststands, abhängig von der geografischen Länge zu einem etwas anderen Zeitpunkt. Eine Sonnenuhr etwa zeigt uns stets die «wahre Sonnenzeit» an.

Infolge des Längenunterschieds zur Mitte der Mitteleuropäischen Zeitzone MEZ bei 15° Ost erfolgt der Sonnenhöchststand gegenüber Leoben in Österreich in Zürich stets 26 Minuten später. (Infografik: Thomas Baer, Redaktion ORION)

Von der «wahren Ortszeit» zur Zonenzeit

Als zu Beginn des Eisenbahnzeitalters die ersten Fahrpläne für längere Bahnstrecken erstellt werden mussten, hatte man mit der «wahren Sonnenzeit» oder der «wahren Ortszeit» ein grösseres Problem. Wer hätte sich mit der Berliner-, Hamburger-, Münchner-Zeit oder in der Schweiz mit der Pariser-, Genfer- oder Berner-Zeit noch ausgekannt, die zum Teil nur wenige Minuten voneinander abwichen. Bald war man gezwungen, die Zeiten zu vereinheitlichen, und da war die Zonenzeit die geeignete Lösung.
Wie so oft, waren es die Amerikaner, genauer die nordamerikanischen Eisenbahngesellschaften, welche 1883 die Zonenzeit quer über den amerikanischen Kontinent einführten.
In Europa dauerte es länger: Im Deutschen Reich wurde die Mitteleuropäische Zeitzone MEZ erst 1893 gesetzlich abgesegnet. In der Schweiz verstrich noch ein weiteres Jahr, bis auch hierzulande von der bis dahin geltenden «Berner-Zeit» Abschied genommen und die Zonenzeit eingeführt wurde.

Genf vor 1886: Drei Uhren für drei verschiedene Ortszeiten an einem Uhrenturm; links Pariser Zeit (−15 min); Mitte: Genfer Zeit (±0min); rechts: Berner Zeit (+5 min) (Quelle: Wikipedia)

Warum steht auch in Leoben die Sonne nicht immer um 12 Uhr im Mittag?

Kurioserweise steht die Sonne aber auch auf dem 15. östlichen Längengrad (Mitte der mitteleuropäischen Zeitzone) nicht immer um 12:00 Uhr MEZ exakt im Süden. Dies ist nur an vier Tagen im Jahr der Fall, und zwar am 25. Dezember, am 13. April, am 13. Juni und am 1. September (siehe Infografik unten). Einmal passiert das Tagesgestirn den Meridian etwas «zu früh», dann wieder «zu spät».

Nur an vier Tagen im Jahr steht die Sonne am 15. östlichen Längengrad genau um 12:00 Uhr MEZ exakt im Süden. (Infografik: Thomas Baer, Redaktion ORION)

Die Zeitgleichung

Des Rätsels Lösung heisst «Zeitgleichung». Weil die Erde, wie jeder andere Planet auch, auf einer elliptischen Bahn um die Sonne kreist, ist sie nicht immer gleich schnell unterwegs. In Sonnennähe (Perihel) Anfang Januar legen wir pro Sekunde 30.29 Kilometer (oder 109’044 km/h) zurück, Anfang Juli, wenn wir den sonnenfernsten Punkt (Aphel) passieren, sind es noch 29.29 km/s (105’444 km/h). Gleichzeitig aber rotiert die Erde in 23 h 56 min 4 s gleichmässig um ihre eigene Achse.
Die Überlagerung der ungleichen Bahngeschwindigkeit mit der gleichmässigen Rotation sorgt nun dafür, dass die Sonne einmal etwas eher den Meridian passiert, dann wieder verspätet. Besonders eilig hat sie es jeweils Mitte November; dann steht sie fast 16½ Minuten zu früh im Mittag. Mitte Februar dagegen nimmt sie es gemütlich: Die «Verspätung» des Mittags beträgt jetzt etwas mehr als 14 Minuten.

An einer Sonnenuhr gilt es diese Abweichungen zu korrigieren, denn nur an den erwähnten vier Tagen im Jahr stimmt unsere Uhrzeit mit der Sonnenuhrzeit tatsächlich überein! Die Sonnenuhr vor der Schul- und Volkssternwarte Bülach etwa ist so konzipiert, dass das Ablesen der Uhrzeit mit Hilfe der «geschwungenen Acht» (auch Analemma genannt) als «Korrekturlinie» für die Zeitgleichung auf dem Zifferblatt eingezeichnet ist. Dort, wo der Schatten der Metallkugel hinfällt, können wir gleich die Abweichung zur vollen Stunde 11:00 Uhr MEZ (oder hier 12:00 Uhr MESZ) ablesen. Wir haben im fotografierten Beispiel den 29. Mai um 12:03 Uhr MESZ.

Die Sonnenuhr vor der Sternwarte Bülach mit den Zeitgleichungskurven, auch Analemma genannt. (Bild: Thomas Baer)

Die Diskussion um die Sommerzeit

Vor einigen Jahren ist in der Europäischen Union eine Debatte um die «Sommerzeit», respektive um die Abschaffung der Zeitumstellung, entbrannt. Viele würden am liebsten eine dauerhafte Sommerzeit haben, doch eigentlich wäre die Mitteleuropäische Normalzeit MEZ (und nicht «Winterzeit»!) für unseren Längenabschnitt in Europa ideal. Durch die alljährlich am letzten Märzwochenende eingefügte zusätzliche Stunde, verschieben wir nämlich unseren Tagesrhythmus um eine ganze Stunde nach hinten. Die Effekte sind uns bekannt: Abends bleibt es sehr viel länger hell, und beim Zurückstellen der Uhren Ende Oktober dauert es nach dem 25-Stunden-Tag oft ein paar Tage, bis sich unser Biorhythmus wieder an die Normalzeit gewöhnt hat.
Eine dauerhafte Sommerzeit brächte überdies vor allem in den Wintermonaten erhebliche Probleme mit sich: Bei uns ginge die Sonne erst nach 09:00 Uhr auf, im weiter westlich gelegenen Spanien, das auch in der Mitteleuropäischen Zeitzone liegt, würde die Sonne erst gegen 10:00 Uhr aufgehen und um 14:00 Uhr im Mittag stehen!

Diese Thematik habe ich im ORION 2/19 ab Seite 36 aufgegriffen:

https://www.e-periodica.ch/digbib/view?pid=ori-001%3A2019%3A77%3A%3A52#89

Empfohlenes Video
https://www.youtube.com/watch?v=TuYd7ZJ3zqs